Mittwoch, 14. Dezember 2011

Requiem #3

John

Man könnte es auch "Die Verblendung" nennen.
Es war nur wenige Monate nach meiner Trennung von meinem Jugendsweetheart. Mittlerweile war ich 19, erfahrener mit dem anderen Geschlecht und wusste, mich interessant zu machen.
Campingtreffen mit Leuten aus meinem Online-Rollenspiel, zum ersten Mal habe ich die Gesichter hinter all den Nicknames gesehen, mit denen ich schon so lange nur virtuell befreundet gewesen war.
Und es hat nur wenige Stunden gedauert, ehe ich bemerkt habe, dass ich augenscheinlich über einiges an Charme und Attraktivität verfüge. Denn die anwesenden Herren der Schöpfung scharten sich um mich wie die Fliegen. Und da ich die Erfahrung derartig umschwärmt zu sein nach fast zwei Jahren Beziehung nicht kannte, kokettierte und flirtete ich, was das Zeug hielt. Ich muss heute noch grinsen, wenn ich daran denke, denn es war ein absolut tolles Gefühl, von so vielen Männern bewundert zu werden.

Und da war dieser eine, den ich zuvor kaum gekannt hatte, der mir aber sofort ins Auge gefallen war. Gutaussehend, wie ich damals fand (heute stelle ich fest, mein Geschmack damals war scheußlich). Und der einzige, der auf meine Flirterei nicht einging. Oh, wie hat mich das damals gewurmt. Der einzige, den ich wirklich interessant fand (warum auch immer), zeigte so gar kein Interesse.

Irgendwie ergab es sich in der Folge des Treffens jedoch, dass wir begannen einander Mails zu schreiben. Und irgendwie wurde der Tonfall der Mails auch immer koketter. Also war ich Feuer und Flamme, dass ich vielleicht doch noch bei ihm landen könnte. Dass wir 500km auseinander wohnten, das empfand ich da noch nicht als großes Hindernis.
Und tatsächlich bot er mir für ein weiteres Rollenspieltreffen, diesmal in seiner Gegend, eine Übernachtungsmöglichkeit an. Ich hatte fest vor, diese Möglichkeit auch zu nutzen... und landete tatsächlich mit ihm im Bett.

Bis zu diesem Punkt wäre die Sache heute für mich vielleicht noch genau so gelaufen. Damals jedoch war ich so berauscht von meinen eigenen Flirtkünsten und meinem Erfolg, dass ich dieses Gefühl mit einem anderen verwechselt habe: Verliebtheit! Und das war der Punkt, an dem mein Fehler begonnen hat. Denn anstatt zu sagen 'Hey, war ne tolle Sache, genau das was ich wollte... und jetzt noch ein schönes Leben' habe ich auf Beziehung gesetzt. Fernbeziehung logischerweise.

Und zunächst schien es sogar noch so, als wäre das auch seine Intention. Er schickte mir ein wunderschönes, selbstgeschriebenes Gedicht... über mich natürlich. Er wollte mich wieder sehen (und wir haben uns auch ein zweites Mal gesehen, für ein Wochenende), und hat niemals auch nur andeutungsweise erwähnt, dass es für ihn nur eine Affäre ist. Ich denke, ich hätte damals sogar damit leben können, trotz meiner eingebildeten Verliebtheit. Die äußeren Umstände hätten einfach gar nichts anderes zugelassen auf Dauer.
Aber anstatt sich wie ein Mann zu verhalten, und es mir ins Gesicht zu sagen (oder es zumindest am Telefon zu tun, da wir uns ja kaum gesehen haben) hat er sich für den Weg des Feiglings entschieden.

Er war nicht einmal Mann genug, mir eine Mail zu schreiben, oder es mit einer SMS zu tun. Er hat einfach gar nichts mehr getan. Kurz vor Weihnachten kam eine Mail in der er mir erklärte, einer seiner Freunde sei tödlich verunglückt, und er müsse ein paar Tage seine Ruhe haben. Artig wie ich bin habe ich das respektiert. Aus den Tagen wurde eine Woche, wurden zwei... ich habe ihm irgendwann dann doch eine Mail geschickt um zu fragen, ob es ihm besser gehe... und bekam nie eine Antwort. Irgendwann hat mir natürlich auch gedämmert, dass diese 'Beziehung' wohl vorüber ist.

Lange Zeit hat es mich schrecklich angepisst, dass er es auf diese Art und Weise getan hat, ich habe mich irgendwie ausgenutzt gefühlt. Ein bisschen mit der Puppe gespielt, und sie dann wortlos in die Ecke geworfen.
Mittlerweile ist es mir vollkommen gleichgültig geworden. Im Grunde zeugt es nur von einem sehr schwachen Charakter. Und ich bin eine zu starke Frau, als dass ich einen charakterschwachen Mann an meiner Seite haben könnte.

"Die Augen sind der Spiegel unserer Seele"...

und manchmal, wenn wir verletzt werden, dann sind da nur Scherben.

1000 kleine Diamantsplitter

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